NACH DEM ULI KOMMT DER PUNK
Beginnen wollen wir mit unseren Nachbarn, den schönen Franzosen.
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Wie bereits vor einigen Monaten angekündigt, erschien dieser Tage das Punk Rock-Großwerk "Heartattack" von HELL & BACK.
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Bleiben wir bei bestem Punk Rock: Hatte ich doch während meiner Skate Punk-Hochzeit Anfang der 2000er nach wahrlich jeder Art von tight gespieltem Punk Rock mit Melodie und Speed Ausschau gehalten, ist doch eine Band unter meinem Radar geflogen, deren Schönheit ich erst im letzten Jahr kennenlernen durfte - besser jedoch spät als nie! Die Rede ist von den Kanadiern BELVEDERE, die sich 1995 gründeten und in den darauffolgenden zehn Jahren Manifeste abfeuerten, geht es um anspruchsvollen und verdammt geilen Punk Rock. Nicht dass "Angels Live In My Town" nicht bereits eine Großtat war, nein, ihr 2001er Album "T'was Hell Said Former Child" ist eine Offenbarung in Sachen immens schnellem Melodic Punk, der die perfekte Symbiose aus Aggressivität, musikalischem Anspruch und Punk Rock darstellt. Eine Re-Release der beiden Platten auf Vinyl flatterte vor einigen Tagen bei mir zu Hause ein, das Glück ist also perfekt und Melodycore hält mehr und mehr wieder Einzug in meinen vier Wände. Dazu kommen noch einige Reunion-Shows, die mehr als amtlich daherkommen und viele glückliche Gesichter zeigen. Hervorzuheben sind Hits wie "A Juxtaposition Of Action And Reason", "Two Minutes For Looking So Good" oder "She Sells And Sand Sandwiches", aber eigentlich gab es bei Belvedere nur Granaten. Und Gänsehaut aufgrund zeitlosem Punk Rock.
Und weil wir erst schon einmal das betörend schöne Schweden erwähnt haben, soll uns an dieser Stelle die noch recht frische Post Pop Punk-Kapelle VANNA INGET nicht vorenthalten werden.
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Zuguterletzt noch eine kleine Geschichte aus meiner aktuellen Wahlheimat Stuttgart. Vor einigen Monaten begab ich mich ins (nun bereits geschlossene) Rockers 33, um meinem ersten Song Slam beizuwohnen. Hobbymusiker stellen dabei eigenkomponierte Songs vor, und meine Erwartung/Hoffnung war, dass es sich mit dem Niveau ähnlich zu einem guten Poetry Slam verhält. So war es dann nicht ganz, es gab recht viel Mario Barth-Humor und kitschige Love-Songs, aber zur positiven Abwechslung auch musikalisch hochwertige Gitarrenarbeit und Texte zum Um-die-Ecke-Denken. Mein Highlight an jenem Apriltag war jedoch ein sehr kurzes Stück namens "Liebe Eltern", welches Solo mit Akustikgitarre in einer großartigen Mischung aus selbstverliebter Arroganz und bemitleidenswerter Larmoyanz, gepaart mit einer gesunden Prise Antihaltung vorgetragen wurde. Der Text ging folgendermaßen: "Liebe Eltern, ich brauche euch nicht. Was ich brauche, verrate ich nicht, aber euch brauch ich nicht. Euch brauche ich nicht, mich braucht ihr nicht. Warum hab ich nichts zu essen da? Liebe Eltern, Liebe Eltern, ich brauche euch nicht." Großartig, weil so widersprüchlich, und doch so treffend. Dazu gabs simple Sounduntermalung und das angenehme Gefühl, dass dem da oben das alles eigentlich scheißegal war und er den Track nur vorträgt, um die Leute anzupissen. Damit kam der mir sehr sympathische Songwriter natürlich nicht weiter und das Publikum wählte einen Rap-verarschenden ("Koks und Nutten" - verpiss dich!) und über sein Pech mit Frauen singenden Fuzzi als Sieger - ach ja. Egal, aus den Augen, aus dem Sinn, aber parallel zur Veröffentlichung des neuen Albums "Fun" und dessen mehrfacher Huldigung in diversen Medien ("Eine der wichtigsten und besten deutschsprachigen Platten dieses Jahrzehnts") durfte ich das Stuttgarter Trio DIE NERVEN kennenlernen. Und wer spielt da Bass? Na eben der Typ! Und was machen die für Mucke? Na besten nihilistischen Post Punk mit Noise-Anleihen und deutschen Texten. Und was für welche: "Alles wie gehabt. Nichts hat sich verändert. Ich stehe abends auf und gehe morgens schlafen. ... Wer ich bin ist nicht so wichtig. Hauptsache man lässt mich in Ruhe". Dieser musikalische Mittelfinger an alles und jeden, dieses betörende Herausziehen aus dem tagtäglichem Verschleiss und der Sinnlosigkeit der Existenz wird dazu untermalt von verstörend flirrenden Gitarren, einem räudig dröhnenden Bass und ekstatischem Schlagzeug. Oben drauf dieses Video, welches es sich zu geben lohnt. Direkt, kalt und verdammt anti - wer gerade besseren Punk in Deutsch fabriziert war die Frage.
Bilder/Credits: