Hardcore, Punk & andere Turbolenzen Kolumne

EINMAL 90ER UND ZURüCK

So starteten wir mit dem neuen Video der wunderbaren Title Fight ( de-de.facebook.com ). Jene begeben sich nicht nur mittels Super-8-Kamera mehr und mehr in die 90er Jahre zurück, nein auch der Sound wandert beständig in die grungigen Alternative Rock-Tiefen jener Zeit hinab. Nachdem sich "Floral Green" bereits stärker im Midtempo-lastigen Grunge bewegte, was u.a. depressiv-kraftvolle Liveshows mit Gänsehaut-Feeling zur Folge hatte, ist nun "Be A Toy" aus der "Spring Songs" EP die logische Weiterentwicklung und hätte genau in diesem Soundgewand auch im Abspann von Dawsons Creek laufen können. Ein Tick zu zahnlos, aber wunderbar phlegmatisch.



Bad Swimmer heißt die neue Band um den (ehemaligen?) Frontmann von Verse, Sean Murphy. Jener begibt sich auf die Bahnen eines verstrahlten, Sonic Youth-esken Grunge Punk-Gemischs, welches beileibe so in der Form nicht zu erwarten war. Aus der winterlichen Langeweile heraus entstanden, frickelt sich Bad Swimmer locker easy durch die eigenen 90er-Emo Rock-Fantasien und wabert vor sich hin im hallenden Nichts, mehr als ein "ganz nice" ist dafür aber leider nicht drin.



Weiter geht es mit Basement ( iwishicouldstayhere.com ). Die klangen stets ein bißchen wie die britischen Prä-Title Fight und haben sich Mitte 2012 aufgelöst, jedoch nicht ohne ordentlichem Abschiedsalbum und anständiger Farewell-Show in London. Von jener gibt es jetzt das Video, und ja, es ist ein Fest. Wäre man nur zu gern dabei gewesen, es gab alle Hits zum Mitsingen und feinste Momente, um dieser verdammt sympathischen Band "Auf Wiedersehen" zu sagen.



In der aktuellen Ausgabe des TRUST Magazins ( www.trust-zine.de ) befindet sich ein (sehr zu empfehlendes) Interview mit drei Herren vom Ventil Verlag ( www.ventil-verlag.de ), über welchen z.B. Sachbücher zu Hip Hop, Hardcore Punk und Free Jazz sowie popkultur-theoretische Bücher erschienen sind. Dazu zählen u.a. "Philosphy of Punk" und "Antifolk", aber auch die Ox-Kochbücher "Kochen ohne Knochen" sowie das beinahe als Standardwerk zur Geschichte des Hardcores zu bezeichnende "If The Kids Are United" von Martin Büsser. Daran erinnert, schnappte ich mir mal wieder Letzteres aus dem Regal und wärmte das vor vielen Jahren Gelesene ordentlich auf - liest sich auch gut das Ding. Klar wurde mir dabei mal wieder, wie absolut 90er das Buch ist, aber auch wie sehr Büsser seinen Abgesang auf Hardcore (u.a. erklärt am Beispiel von SST Records und Earache Records) zu 90% mit der Kommerzialisierung des Genres Ende der 1980er Jahre begründet - die restlichen 10% Schuld liegen bei den sich selbst geißelnden Straight Edgern. Als ob der ganze Untergrund von MTV und Majors aufgefressen worden wäre, sieht er mit den Jahren 1987/88 bereits das Ende von Hardcore als eigenständigem Genre. Allein die ganze Revival-Wellen um Bands wie Gorilla Biscuits oder Youth Of Today zeigen jedoch, dass bei Weitem nicht alle Bands damals den Trend zum Kommerz mitgemacht haben bzw. daran überhaupt teilhaben konnten.

Interessant wäre es natürlich zu sehen, wie Martin Büsser die letzten 20 Jahre erlebt hat. Eine schwere Krebserkrankung mit Todesfolge macht dies jedoch leider nicht mehr möglich - RIP. Zu sagen ist jedoch, dass Hardcore und Hardcore Punk ganz klar noch existieren und für viele Junge und Alte in verschiedensten Ländern relevant sind. Wir haben heutzutage echte Helden (Roger Miret, Henry Rollins oder Ian MacKaye), erfreuen uns an Hardcore Punk, Metalcore, Beatdown und Post HC, gefeierte Übertruppen wie Comeback Kid, Hatebreed, Terror oder Touché Amore bereisen die gesamte Welt und es gibt immer noch die guten alten lokalen Bands, die einfach nur ihr Ding machen, zwischen Jugendzentren hin und her tingeln und Spaß haben. Großartig politisch geriert er sich nicht mehr, mit Punks will er meist nix zu tun haben, das Outfit ist schon lange nicht mehr irrelevant und die schick durchgestylte Mischung aus Metal, Hardcore und Pop ist gerade am Regieren. So könnte man das aktuelle Geschehen in zu wenige Worte fassen. Insgesamt klingt das nicht so richtig zufriedenstellend als Fazit, aber alles über einen Kamm zu scheren, das ist auch nicht der richtige Weg: Dafür ist dieses riesige Meer an Bands und Styles auch einfach zu unüberschaubar und ein jeder kennt mindestens zehn Bands, die sich auf die Roots berufen, jene in die Jetzt-Zeit verfrachten sowie erweitern und damit Büssers strikten Definition von Hardcore Punk mehr als nur genügen.
Zum Abschluss gibt es diesmal natürlich passenderweise ein Track aus den 90ern; die späten Turning Point sollen es sein. Wahrscheinlich für Martin Büsser ein Paradebeispiel dafür, wie aus rasend-rotzigem xSEx-Hardcore (man nehmen die selbstbetitelte 7" von 1988) Emo-beeinflusster und verwaschen moderner Hardcore wurde und damit der Kommerz Einzug in die HC Punk-Szene hielt, sind es aber gerade die vier zuletzt produzierten Tracks von Turning Point mit das Relevanteste, was aus dem Jahre 1991 für den zukünftigen Hardcore-Sound hervorging. An dieser Stelle soll deswegen "Broken" sein Goodbye trällern, ein Über-Hit von Weltformat, gespickt mit lärmenden Drums, herzzerreißenden Lyrics, einer Wahnsinns-Bridge und diesen Melodien im zweiten Drittel, die zugleich todtraurig als auch überglücklich machen. Was wäre ich durchgedreht, hätten Miles Away den mal live gespielt - man kann eben nicht alles haben. Und so sei an dieser Stelle auch an Turning Points Skip Candelori erinnert, der 2002 aufgrund einer Drogenüberdosis von uns ging - RIP.

 

Bilder/Credits: www.hardcore-history.com | blogs.miaminewtimes.com

Autor: KingpinRegistriert: 28.05.2004 - Verfasste Artikel: 347 - Forenposts: 757 - Alle Artikel anzeigen
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