VÖ: 29.10.2012
Label: Epitaph (http://www.epitaph.com/)

Tracklist:
01. Sparks
02. Old ghosts/ new regrets
03. Dream run
04. Wild eyes
05. Dark days
06. The river
07. Swing
08. The slow surrender
09. Atlas
10. Sleight of hand
11. Snake, oil and holy water
12. Blue and the grey (Bonus)
Spieldauer: 45:07 min
Im australischen Byron Bay steht ein Haus an einer kleinen Straße. Wenn die Typen dort nicht gerade mit Longboards das Klischée vom surfenden Down Under-Dude bedienten, pflegte man im Keller dieses Hauses die lokale Hardcore-Kultur. Aus der Mitte dieser Szene erwuchs im Laufe der Jahre eine Band, welche zu Recht als Ausnahmeerscheinung im Bereich des Metalcore gilt. Die Straße entlang dieses Hauses trägt den Namen Parkway Drive.
Und nachdem man mit drei Studioalben, zwei fantastischen DVDs und einer unbestreitbar mächtigen Livepräsenz seine Anhängerschaft kultivierte, folgt nun der heiß erwartete vierte Streich. Meine Erwartungshaltung: unermesslich!
Und so war es seit langem mal wieder eine wahre Zelebrierung, ein neues Album zum ersten Mal zu hören. Playlist an, im Zuge der allgemeinen Abschottung Kopfhörer auf und los ging‘s.
Und wenn dir schon beim Intro Gänsehaut über den Rücken läuft, kann ein Album wohl kaum besser beginnen. Das zweiminütige „Sparks“ baut über die ersten Minute mit Akustik-Gitarren und Marching Snare eine unfassbar dichte Stimmung auf, bevor dann durch die einsetzenden Streicher beinahe Enrico Morricone-Atmosphäre aufkommt (Stichwort: METALLICA-Liveintro „Ecstasy of gold“). Man nimmt immer mehr Fahrt auf, um dann mit Shouts und zweistimmigen Gitarrenleads direkt im darauffolgenden „Old ghosts/ new regrets“ zu münden. Großartig!
Diesen Song konnte man bereits vorab begutachten, wo er mir aber nicht gerade besonders zugesagt hatte, da zwar gut knallend, für meinen Geschmack aber viel zu linear und stumpf, ähnlich dem „Deep Blue“-Rausschmeißer „Set to destroy“. Warum der Track im Gesamtkontext aber dann doch funktioniert, wird sich gleich zeigen.
Denn offenbar wurde im Hause PARKWAY DRIVE gezielt die Strategie verfolgt, mit den Vorabveröffentlichungen eine falsche Fährte zu streuen. Song drei „Dream run“ zeigt da schon deutlicher, wo die Marschrichtung für die Australier liegt: Man beginnt mit einem elendig groovenden Riff, was noch gut in die „Deep Blue“-Ära gepasst hätte, ebenso der erste Verse mit Djent-Riffing und Winston McCalls unverkennbarem Bellen. Im Refrain werden dann aber die großen Kaliber herausgeholt: zahlreiche Gitarrenlayer erzeugen einen dichten Klangteppich und die zweistimmigen Leads erinnern dezent an HEAVEN SHALL BURNs „Antigone“. Im Mittelteil wartet man dann noch mit für PARKWAY DRIVE bislang recht untypischen progressiven Elementen auf, was den Song optimal komplettiert.
In diesem Moment kommt beim Hören kurz die Frage in meine Gedanken, ob es die Australier wohl wieder schaffen, so eine richtige Hymne auf „Atlas“ zu platzieren. Diese Frage hat sich mit dem folgenden Song erübrigt…
„Wild eyes“ ist ein ziemlich oldschooliger Metalcore-Track, der vor Kraft kaum laufen kann: ein krass eingängiger Hook wechselt sich mit brockenschwerem Groove an und ich fange an, allein mit mir und meiner Einraumwohnung, vollkommen zu eskalieren. Hier reiht sich einfach mal ganz locker ein Knaller-Riff an das andere, das sowieso schon treibende Tempo wird durch kurz eingestreute Blastbeats à la AUGUST BURNS RED noch zusätzlich angeheizt. Dann noch Woohoo-Chöre und so ein unerwarteter Schweine-Breakdown am Ende: Das ist doch lächerlich! Einen coolen und vollkommen kompromisslosen Metalcore-Song im Jahre 2012 schreiben? Also bitte!
Das folgende „Dark days“ war der erste Song, der im Vorfeld des Album-Release veröffentlicht wurde. Thematisch dreht der sich um die Ausbeutung und Zerstörung der Welt im Kampf um Ressourcen. Musikalisch atmet der Track tief „Deep Blue“-Luft ein, gerade gekennzeichnet durch den stetigen Wechsel zwischen Melodie und Moshgroove.
Zu was man aber eigentlich fähig ist, wird bei „The river“ erstmals richtig klar. Denn anders als zumindest ich das erwartet hätte, wagen sich PARKWAY DRIVE auf „Atlas“ immer weiter in die progressiveren Ecken vor. So ist zum Beispiel weiblicher Cleangesang zu hören, der sich zu den mit viel Understatement gesetzten Clean-Gitarren perfekt ergänzt. Das Mainriff erinnert dann wohlig an „Idols and anchors“ und auch ansonsten erinnert der Song im Verse stark an „Horizons“: eingängiges, hochmelodischen Riffing gepaart mit unfassbar bulligen Vocals. A propos hochmelodisch: Was dann im Mittelteil des Songs kommt, ist so mitreißend und innovativ, dass ich es fast nicht glauben konnte.
Die Songstruktur wird plötzlich aufgebrochen, Gitarrist Jeff Ling und der weibliche Gesang übernehmen die Führung und es folgt ein unfassbar dichtes Interlude, mit dicken Bassläufen und so anrührenden Vocals, dass du das ganze Outback mit bewässern könntest.
Während man noch so vor sich hin träumt, schreckt einen eine Snare-Drum unsanft auf. „The swing“ betrachtet sich selbst eher als Dampfwalze denn Poet und dem Track sei es gleichsam gegönnt: straightes Riffing trifft auf ausladende Mosheskapaden und somit fühlt man sich etwas in Richtung „Unrest“ zurückversetzt. Dazu ein dezenter "6-Millionen-Dollar-Mann"-Soundeffekt, der eine ellenlange Bridge einleitet, die von knackigen „Swing!“-Gangshouts gesäumt wird. Während der geneigte Hörer das Cappy nach hinten dreht und sich seelisch und moralisch auf den Moshpart vorbereitet kommt es dann doch ganz anders und vielmehr ist beide Arme in Superhero-Position ausrichten und Harley Davidson Fahren angesagt. Cool!
Bei „The slow surrender“ schalten PARKWAY DRIVE vorerst einen Gang herunter und liefern einen tonnenschweren Midtempo-Brecher ab, der dich packt, in den Wald schleppt und dir zu den Klängen des „There is a price to pay!“-Breakdown mit einem unbearbeiteten Stück Naturholz den Schädel vom Kopf knallt. Dann verlässt der Track mit euphorischen Crewvocals das Feld und beim ausklingenden Mainriff mache ich mir mal ein paar Gedanken zum Soundgewand von „Atlas“:
Das wirkt, gerade im Vergleich mit „Deep Blue“ weniger übertrieben fett, was hauptsächlich daran liegt, dass die Bassdrum nicht so übertrieben präsent ist, wie auf dem 2010er Vorgänger. Ansonsten wurde einfach hervorragende Arbeit geleistet, der Gitarrensound ist erfreulich mittenbetont und hebt sich so deutlich von dem aktuell zu hörenden Produktions-Einheitsbrei ab. Ebenso ist es Produzent Matt Hyde nicht hoch genug anzurechnen, so eine Flut an neuen Instrumenten in den altbekannten PARKWAY DRIVE-Sound einzubringen. „Eine Flut“? Ja, wir sollten uns an dieser Stelle dem folgenden Titeltrack zuwenden.
Denn spätestens hier macht der Fünfer aus Byron Bay den Sack zu und lässt „Atlas“ zum in meinen Augen besten Metalcore-Album der letzten 5 Jahre werden. Der Track beginnt mit 12saiter-Gitarren akustisch, zu Winston McCalls resignierend geschrienen Vocals gesellen sich Chöre, bevor es mit verzerrten Sechssaitern weitergeht, immer wieder unterbrochen von kurzen Akustikpassagen. Mit Einsetzen des Chorus überschlägt sich dann alles: zahlreiche Gitarrenlagen, Streicher, Chor. Daraufhin bricht der Song erneut zusammen, ein Piano übernimmt die Melodieführung und die Streicher gepaart mit dem Classic Rock-mäßigen Solo schaffen eine so unglaublich dichte Atmosphäre, dass mir einfach die Worte fehlen. Wenn ich alles von der neuen PARKWAY DRIVE-Scheibe erwartet habe, aber nicht dieses Monster an Komplexität und Innovation. Hier wurde in gewisser Weise schon einiges auf eine Karte gesetzt und das kann nicht genug honoriert werden. Während Bands wie AS I LAY DYING ihren urtypischen Sound auf hohem Niveau nunmehr seit Jahren nur noch sachte anpassen, haben PARKWAY DRIVE auf „Atlas“ ihr Songwriting über breite Strecken umgekrempelt. An dieser Stelle bitte einen weiteren Superlativ des Ausdrucks der Begeisterung einsetzen.
Das folgende „Sleight of hand“ lebt dann erneut aus der typischen Mischung aus Härte und Melodien, wobei auffällt, dass großen Wert auf eine entsprechende Ausgestaltung der Gitarrenleads mit Effekten gelegt wurde.
„Atlas“ endet mit „Snake, oil and holy water“ und einem Song, der kompromissloser wohl nicht sein könnte: Durch die ausladend verwendeten Blast-Beats verschiebt sich das Gehörte immer wieder in die Melodic Death-Ecke, was für den PARKWAY DRIVE-Sound bisher nicht unbedingt charakteristisch war, den Australiern aber total gut zu Gesicht steht. Auch ansonsten gibt es wieder eine Flut an Melodien zu hören und zahlreiche Parts schreien förmlich die Worte „Circle Pit“. Ohne große Umschweife beenden PARKWAY DRIVE die Standardversion von „Atlas“ und somit einen ihrer größten Würfe.
Auf der hierzulande erzähltlichen Deluxe Version inklusive der "Home Is For The Heartless"- DVD (habe ich für den selben Preis, wie die Standardversion erstanden), befindet sich weiterhin noch der Bonustrack "Blue and the grey". Und als ob die vorangegangen elf Songs nicht schon genug wären, setzt es hier nochmal eine Schelle nach der anderen: keifende Screams, krasse Riffs, Trompeten und ein Outro-Solo, welche das Thema von "Sparks" perfekt aufgreifen und somit den eigentlichen Abschluss von "Atlas" bilden: ein Kauf der Deluxe Edition ist in meinen Augen also dringend zu raten. Und die Lyrics in "Blue and the grey" sind gleichzeitig maßgebend für den Rest des Albums: Textzeilen wie "Dear sky don't cry for me, be the hope I could never reach/ Cold sea, please don't let me sink/ Wrap your arms around me and carry home" pendeln immer wieder zwischen Wehmütigkeit, Depression und Optimismus und reißen so genauso hin und her wie die zugehörige Musik. Dass auch hier, genauso wie im Artwork das Element Wasser eine zentrale Rolle spielt, mag irgendwie klischéebehaftet wirken. Dabei darf man allerdings nie vergessen, wie zentral dessen Rolle im Leben der Australier ist und wie essentiell dieses Element für das Outfit PARKWAY DRIVE im allgemeinen geworden ist.
Wie soll ich dieses Review jetzt noch zusammenfassen? Dieses Album hat einfach alles: die klassischen Band-Trademarks, zahlreiche Innovationen, mitreißende Hooks und einen Tieflader voller Brutalität. Es nimmt einen von den ersten Synthesizer-Klängen des Intros bis zum letzten Saiten Abdämpfen von „Snake, oil and holy water“ gefangen und sendet mir, der sich ehrlicherweise als Fanboy dieses Outfits bezeichnen muss (hat beim Lesen dieses Reviews sicherlich auch keiner gemerkt, ne?), an dutzenden Stellen einfach nur eine Gänsehaut über den Rücken, wie es in letzter Zeit bei keinem Album auch nur annähernd vorgekommen ist. Das hier ist für mich definitiv das Album des Jahres 2012 und auch wenn allein vom Erinnerungswert her wohl kein Album mehr an „Killing With A Smile“ herankommen wird (Gott, was waren das für Zeiten gewesen!), so lasse ich mich dazu hinreißen, dass „Atlas“ auf einer Stufe mit „Horizons“ steht, was für den geneigten Anhänger der Band Anreiz genug sein sollte, diese Platte UNBEDINGT in den eigenen Bestand aufzunehmen. An dieser Stelle bitte noch 5 weitere Superlative einsetzen, darauf folgend in den Plattenladen des Vertrauens gehen und jeweils ein Exemplar für sich und den Rest der Familie zu Weihnachten kaufen! Ich würde jetzt nur ungerne soweit gehen und sagen, dass ich meinen Erstgeborenen für dieses Album geben würde… aber man muss es ja nicht drauf ankommen lassen.
Punkte: 10/10
Disko:
2012 – Atlas
2010 – Deep Blue
2007 – Horizons
2005 – Killing With A Smile
2005 – Don’t Close Your Eyes EP
Links:
http://www.facebook.com/parkwaydrive