J. EDGAR
Nach "Shutter Island" und "Inception" gelingt Leonardo DiCaprio mit "J. Edgar" der dritte große Wurf in Folge. Es ist erstaunlich zu welchem Charakterdarsteller sich der einstige "The Beach" Aussteiger und "Titanic" Schwimmer entwickelt hat. Konnte er schon bei "Aviator", "Departed" und "Blood Diamond" sowie "Der Mann der niemals lebte" überzeugen, so ist er mittlerweile ein Garant für Qualitätskino geworden. In Verbindung mit Clint Eastwood, der unter anderem Filme wie "Mystic River" oder "Million Dollar Baby" inszenierte, gibt es hier eine fast pathosfreie Biografie eines der mächtigsten Männer der USA. In kühlen Farben hat Eastwood wunderbar das Setting der 20er-50er Jahre des letzten Jahrhunderts eingefangen. Emotional gespielt und dialogstark. Großartig!
"J. Edgar" beginnt im Büro des FBI Direktors. Dieser lässt von einem Agenten seine Memoiren verfassen, deren Ereignisse als Rückblicke gezeigt werden. DiCaprio ist somit als alter und junger Hoover in Aktion zu sehen, erinnert mich an DeNiro in "Es war einmal in Amerika", bei dem der Film ebenfalls in zwei verschiedenen Zeitabschnitten spielte. Hoover ist besessen davon eine bessere Ermittlungsbehörde zu gründen, da in den 1920er Jahren die Tatorte oftmals von Streifenpolizisten säumig gereinigt und zu viele Spuren unabsichtlich beseitigt wurden. Auch drängt Hoover auf eine landesweite Kartei von Fingerabdrücken registrierter Verbrecher.
Und so widmet sich Regisseur Eastwood dem Aufbau des FBI und dem Werdegang von Hoover. Einem Fall wird hierbei größere Aufmerksamkeit geschenkt: der Entführung des Lindbergh Babies. Das scheint etwas "langweilig", hätte man doch wohl lieber eine actionreiche Jagd nach John Dillinger gesehen?! Aber der Focus auf den Lindbergh Fall hat einen klaren Hintergrund. Hoover konnte in dem Fall nicht richtig ermitteln, da der Tatort ausserhalb seiner Zuständigkeit lag, also forderte er vom US Kongress weitreichende Befugnisse und die Möglichkeit landesweit handeln zu können. Weiterhin baute Hoover technische Labore auf, die gefundene Spuren genauer untersuchen sollten und letztlich auch Beweise für den Lindbergh Fall lieferten.
Hoover ist paranoid und vertraut seiner Mutter bis zu ihrem Tode eigentlichen am meisten. Als sie stirbt, fällt er in ein emotionales Loch. Das wird sehr eindringlich dargestellt und liefert zumindest filmisch eine Erklärung für Hoover's angebliche Vorliebe von Frauenkleidern.
Er fängt an Akten über Politiker und Stars anzulegen, deren moralische Haltungen von seinen abweichen. Dabei hat er selbst ein noch viel größeres Geheimnis, dass nicht in die Moralvorstellungen der damaligen Zeit passte. Die homosexuelle Beziehung zu seinem ernannten Stellvertreter Clyde Tolson. Zu weiten Teilen handelt der Film von diesem inneren Zwiespalt und der Beziehung dieser beiden Männer. Dabei verzichtet Eastwood gekonnt auf peinliche Quotenszenen. Wohl auch bewusst, denn die homosexuelle Neigung Hoovers ist auch in den USA weiterhin umstritten.
Der Film lebt von seinen Darstellern, allen voran Leonardo DiCaprio und Naomi Watts (FairGame, 21 Gramm), deren Maske/MakeUp sehr realistisch umgesetzt wurde. Einzig bei Armie Hammer als Clyde Tolson hat man es im Alter etwas übertrieben. Armie Hammer dürfte manch einem in seiner Doppelrolle der Winklevoss Zwillinge in The Social Network bekannt sein. Der restliche Cast fügt sich ein, kann sich aber gegen die allgegenwärtige Dominanz von DiCaprio nicht behaupten.
Fazit: Wer hier einen Actionfilm der Marke "Public Enemy" (US Version mit Johnny Depp) erwartet, wird bitter enttäuscht. "J. Edgar" ist ein Drama um Hoover selbst, dessen Beziehung zu seiner Mutter, seinem Stellvertreter Clyde Tolson und dem energischen Aufbau des FBI. Über fast 140 Minuten baut Regisseur Eastwood eine fesselnde Geschichte und Atmosphäre auf, die zu keinem Zeitpunkt langweilig wird. Mein einziger Kritikpunkt: Es wird sich nicht immer an die reale Geschichte gehalten, zum Beispiel was den Hauptmann Prozess angeht.
- erstklassige Besetzung
- sehr dialogreich aber nie langweilig
- wunderbares Setting
- Hauptfall die Entführung des Lindbergh Baby
- kaum Pathos
- diverse Änderungen der Geschichte