Mit Billigschuhen in die Höhe: Stephon Marbury
29. November 2006
Stephon Marbury spielt gerade die schlechteste Saison seiner Karriere. Seine Punkteausbeute hat sich halbiert, seine Assists ebenfalls, und noch nie in seinen zehn Jahren in der National Basketball Association (NBA) lag Marburys Wurfquote so niedrig wie heute. Sein Team, die New York Knicks, haben erst eines von sieben Heimspielen gewonnen und liegen auf dem vorletzten Platz ihrer Division.
Marburys Schuld an dieser Lage ist unbestreitbar. Als Spielmacher ist er der Kopf des Teams. Mißt man seine Statistiken an seinem Jahresgehalt von 17 Millionen Dollar, ist Marbury vermutlich der überbezahlteste Spieler der Liga. Trotzdem war seine Popularität nie größer.
„Wir werden die ganze Szene auf den Kopf stellen“
Schuhduell zwischen Marbury (li.) und James
„Stephon, ich liebe Dich“, schreibt Jane Flanagan, eine von vielen neuen Verehrerinnen. Dabei ist Frau Flanagan gar kein Fan der New York Knicks. Die Kolumnistin der New Yorker Lokalzeitung „The Villager“ interessiert sich genaugenommen nicht einmal für Basketball, geschweige denn für die NBA. Doch Flanagan teilt mit Millionen in den Vereinigten Staaten ein Schicksal: Sie ist die Mutter eines sportverrückten Sohnes, der ständig nach dem neuesten Schuhmodell von Nike, Adidas oder Reebok verlangt. Der Umstand, daß ein einzelnes Paar bis zu 200 Dollar kostet, sorgte in der Mutter-Kind-Beziehung für hitzige Debatten. Bis Stephon Marbury kam. In seinen 15-Dollar-Schuhen.
„Ich habe es satt, daß die Schuhindustrie Millionen von Eltern ein schlechtes Gewissen einredet“, sagt Marbury. Sein neuer Schuh, der Starbury One, kostet 14,98 Dollar. Dabei sind die Modelle in den Läden keine abgespeckte Version des Originals. Seit Saisonbeginn spielt Marbury in genau denselben Schuhen, die seine Fans aus den Regalen nehmen. Qualität, zeigt der Star, muß nicht teuer sein. „Die Preise für Basketballschuhe heutzutage sind absoluter Wahnsinn“, sagt Marbury. „Aber wir werden diese ganze Szene auf den Kopf stellen.“ „Wir“ - das sind Marbury und sein neuer Geschäftspartner, Steve & Barry's.
Radikaler Schnitt
Man kann auch mit Billigschuhen bestehen
Die amerikanische Textilkette führt nur Artikel unter 20 Dollar. Nun sind Billighändler in Nordamerika nichts Außergewöhnliches. Doch die Zusammenarbeit mit Marbury, einem der bekanntesten Spieler Amerikas, bedeutet einen radikalen Schnitt für Steve and Barry's - und eine nicht zu unterschätzende Bedrohung für Marken wie Nike und Adidas.
„In der Industrie ist es kein Geheimnis, daß der Preis für die Schuhe mit deren Qualität nicht viel zu tun hat“, sagt Erin Patton. Der Gründer der Marketingagentur The Mastermind Group muß es wissen, er war einer der kreativen Kräfte hinter der Jordan Brand, der wohl hochpreisigsten Sportschuhmarke aller Zeiten. Michael Jordan, der sechsmalige NBA-Champion und zweimalige Olympiasieger, gilt auch Jahre nach seinem Rücktritt noch immer als Held der Branche.
„Ein guter Schuh kostet nicht mehr als 15 Dollar“
Standfest
Von den „Air Jordan“-Schuhen gibt es 21 Modelle. Eines von ihnen, der Air Jordan 17, wird dem ehrfürchtigen Kunden eigens in einem Metallkoffer überreicht. Kostenpunkt: eben 200 Dollar. Nike, Jordans Geschäftspartner seit 1984, inszeniert den Start eines Schuhs wie die Premiere eines Hollywoodfilms. Vor den Läden warten Hunderte von Jugendlichen auf ihr erstes Paar, wer in den Wochen danach noch mit einem Vorgängermodell auf den Schulhof kommt, wird ausgelacht.
Eltern versuchen seit Jahren, ihren Kindern diesen Wahnsinn auszutreiben Meist vergeblich. „Die Kids wollen das tragen, was ihre Vorbilder tragen“, sagt Patton. „Darauf basiert ja die ganze Industrie.“ Dabei sei der eigentliche Produktionsaufwand völlig irrelevant. Die International Labor Organisation etwa fand heraus, daß die Lohnkosten eines in China hergestellten, 70 Dollar teuren Schuhs von Puma bei 1,16 Dollar liegen, die Werbekosten aber sechsmal so hoch sind. „Die Leute müssen begreifen, daß sie auch die extravaganten Werbespots bezahlen, wenn sie 100 Dollar für ein Paar hinlegen“, sagt Marbury. „Wir haben schon drei Millionen von dem Starbury One verkauft. Und wir verdienen damit Geld. Ein guter Schuh kostet nicht mehr als 15 Dollar.“
Marburys Popularität war nie größer
So kommt es, daß Stephon Marbury trotz eines grottenschlechten Saisonstarts eine erstaunlich milde Behandlung in der Öffentlichkeit erfährt. Die New Yorker Fans, die ihre Sportler normalerweise bei Versagen am liebsten teeren und federn wollen, halten sich derzeit auffallend zurück. Gewiß, wenn die Saison voranschreitet und die Knicks, das teuerste Team der Liga, weiter im Keller herumdümpeln, wird auch die Zustimmung für Marbury kippen. Aber noch hat der Spielmacher einen dicken Eltern-Bonus. In den Worten von Mutter Flanagan: „Danke Stephon, Du bist mein Held!“
Text: F.A.Z. vom 29. November 2006
Bildmaterial: AP, dpa, REUTERS
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